Karfreitag – 19. April 2019

Predigt in der Alt-Katholischen Gemeinde Essen

 

Ein Furcht erregendes und unbegreifliches Mysterium
vollzieht sich heute und wird sichtbar:
Heute wird ans Kreuz gehängt, der die Erde in die Wasser gehängt hat.
Ein Dornenkranz wird dem aufgelegt, der den Himmel mit Wolken umhüllt.
Ein unechtes Königsgewand wird dem angelegt, der den Himmel in Wolken umhüllt.
Der Unnahbare wird gefangen gehalten,
gefangen wird der, der Adam aus dem Fluch befreit hat.
Zu Unrecht wird der verhört, der Herz und Seele prüft.
Im Gefängnis wird gefangen gehalten, der die Abgründe verschlossen hat.
Vor Pilatus steht der, vor dem zitternd die Mächte des Himmels stehen.
Geschlagen wird der Schöpfer durch die Hand des Geschöpfs.
Zum Holzkreuz wird verurteilt der, der über Lebende und Tote urteilt.
Im Grabe wird eingeschlossen der, der den Hades abgesetzt hat.
Ein Furcht erregendes und unbegreifliches Mysterium
vollzieht sich heute und wird sichtbar.[1]

Dieser Auszug aus der Karfreitagsliturgie einer Orthodoxen Kirche erinnert uns daran, dass wir heute vor dem gekreuzigten Gott stehen.  Gott, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, sein Sohn, durch den alles geschaffen wurde, hängt nun am Kreuz. Der, der ohne Sünde war, der für uns in die Welt gekommen ist, hängt nun stellvertretend für uns dort. Leidet. Stirbt. Dieser Tod bringt die Welt durcheinander. Dieser Tod sollte, dürfte nicht sein. Diesen Tod gibt es aber.

Dies ist ein Moment des Schreckens, ein Moment des Verlassen seins, ein Moment der Einsamkeit. Ein Moment, in dem die Überzeugung, „Das darf nicht wahr sein,“ doch Wirklichkeit, Wahrheit wird.  „Jesus wird heimgesucht vom Chaos, vom Schmerz, von der Einsamkeit und vom schrecklichen Grauen. Selbst er leugnet, dass Gott anwesend ist.“[2]  Die Mystikerin Juliana von Norwich beschreibt die Kreuzigung als kosmisches Ereignis: „ ‚alle Kreaturen, die leiden, leiden mit ihm … und das Firmament, die Erde, missraten in Trauer‘ und die Planeten, alle Elemente und sogar alle die Sterne verzweifelten an Christi Tod.“[3]

Am Kreuz nimmt Jesus teil am Leiden der Welt, fühlt sich mit uns ein. Er stirbt für uns, aber dabei ist er mit uns, mitten drin im Chaos, in unserem Schmerz, in unserer Einsamkeit, im Grauen.  Diana Butler Bass besinnt sich der Unterscheidung zwischen „für“ und „mit“:  „Für oder mit? Vertrag oder Beziehung? Gütertausch oder Teilnahme? Gegenleistung oder Freundschaft?“[4] Für Peter Woods bedeutet das Kreuz, dass wir nie alleine gelassen werden: „Es ist ein großer Trost für mich, dass selbst Jesus diesen Moment überwältigender Angst hatte.“[5]

Das Kreuz ist das Symbol der Solidarität, es zeigt, was „Gott mit uns“ – Emmanuel – wirklich heißt. Für Melissa Bane Sevier ist der Karfreitag sehr wichtig, weil er uns daran erinnern, dass auch andere nicht alleine gelassen werden:

Einmal im Jahr schauen wir in den Abgrund und erinnern uns an diejenigen, deren Leiden sich am Kreuz widerspiegelte: die Unterdrückten, die Sterbenden, die zu Unrecht Angeklagten, die Verlassenen, die Hoffnungslosen. Einmal im Jahr verlassen wir den Ort der Anbetung in dunkler, schwerfälliger Stille.[6]

Das Kreuz erinnert uns daran, dass Gott auf alle Leidenden schaut, bei allen Leidenden dabei ist. Wir beten es oft im Eucharistiegebet:

Gott, schau auf alle Menschen, die deiner und unserer Zuwendung besonders bedürfen: auf die Gequälten, Missachteten und Ausgebeuteten, auf alle, deren Krankheit niemand heilt. Gedenke der Einsamen, derer, die ohne Hoffnung sind, der Trauernden und aller, deren Herz nach Liebe schreit.

Heute werden wir daran erinnert, dass dieses Gebet schon längst erfüllt wurde. Karfreitag, Christus am Kreuz, Gott am Kreuz erinnert uns daran, dass auch in diesem Abgrund, in diesem Moment, in dem Christus selber ruft „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gott doch präsent ist.  Im Leiden, im Sterben, in der Angst, in der Einsamkeit. In Jesu Christi Leiden, Sterben, Angst, Einsamkeit, aber auch in unserem Leben, unserem Sterben, unserer Angst, unsere Einsamkeit. Wir können zuversichtlich sein, dass wir in diesen Momenten nicht verlassen werden. Denn – wie das Eucharistiegebet es ebenso ausdrückt, „Du bist kein Gott, der bei sich selbst bleibt. Du hast dich unserer Armut und Schwachheit angenommen.“

Die Menschwerdung Christi, sein Leben, sein Leiden und Sterben „durch Menschenhand“, das ist das Geschenk Gottes, wie wir beten: „das einzigartige Geschenk, deinen Sohn. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.“  Der Weg, die Wahrheit und das Leben, auch in diesem Moment, in dem er mit uns, für uns stirbt.

Ein Furcht erregendes und unbegreifliches Mysterium
vollzieht sich heute und wird sichtbar:
Heute wird ans Kreuz gehängt, der die Erde in die Wasser gehängt hat.
Ein Dornenkranz wird dem aufgelegt, der den Himmel mit Wolken umhüllt.
Ein unechtes Königsgewand wird dem angelegt, der den Himmel in Wolken umhüllt.
Der Unnahbare wird gefangen gehalten,
gefangen wird der, der Adam aus dem Fluch befreit hat.
Zu Unrecht wird der verhört, der Herz und Seele prüft.
Im Gefängnis wird gefangen gehalten, der die Abgründe verschlossen hat.
Vor Pilatus steht der, vor dem zitternd die Mächte des Himmels stehen.
Geschlagen wird der Schöpfer durch die Hand des Geschöpfs.
Zum Holzkreuz wird verurteilt der, der über Lebende und Tote urteilt.
Im Grabe wird eingeschlossen der, der den Hades abgesetzt hat.
Ein Furcht erregendes und unbegreifliches Mysterium
vollzieht sich heute und wird sichtbar.

 

[1] Adaptiert von: Gemeinsam Ostern feiern. Eine ökumenische Handreichung, herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland von Athansios Basdekis, Christina Kayales, Johann Georg Schütz und Klaus Peter Voß, Frankfurt am Main 2004, 22-23 (https://www.oekumene-ack.de/fileadmin/user_upload/Ostern/Karwoche_und_Ostern_in_der_orthodoxen_Kirche.docx).

[2]  Siehe: https://thelisteninghermit.com/2010/03/29/the-art-of-dying-well-with-jesus/.

[3]  Zit. nach Diana Butler Bass, „Good Friday: Being with Jesus at the cross,” (https://www.patheos.com/blogs/dianabutlerbass/2012/04/good-friday-being-with-jesus-at-the-cross/).

[4]  Ibid.

[5]  Siehe: https://thelisteninghermit.com/2010/03/29/the-art-of-dying-well-with-jesus/.

[6]  Siehe: https://melissabanesevier.wordpress.com/2011/04/20/dark-before-the-dawn/.

Leave a comment