5. Fastensonntag (B) – 17. März 2024

Predigt gehalten in der Alt-Katholischen Gemeinde Bottrop

Jeremia 31, 31-34
Hebräerbrief 5, 7-9
Johannesevangelium 12, 20-33

Amen, amen, ich sage euch:  Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.  (Joh. 12, 24)

In unserer Lesung aus dem Johannes Evangelium spricht Jesus über den eigenen Tod.  Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird, sagt er, aber die Verherrlichung passiert durch den Tod.  Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu tragen.  In einem Kirchenlied, das leider nicht in Eingestimmt steht, wird diese Gedanke so ausgedrückt:

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt –

Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:

Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Sterben um zu Leben – es ist ein Paradox, wie wir es gerade im Lied gesungen haben:  „Geheimnis des Glaubens; im Tod ist das Leben.“[1]

Wie kann das sein, wenn wir auch immer wieder erfahren müssen, dass der Tod trennt?  Kann es wirklich sein, dass Tod nicht nur Trauer und Wut und Schmerz mit sich bringt, sondern auch Leben?  Das ist das Geheimnis, das Jesus hier über seinen eigenen Tod verkündet, das Geheimnis, aber auch die gute Nachricht, die wir in den nächsten zwei Wochen ausleben werden: in der Passionszeit, vor allem in der Karwoche, am Karfreitag, in dieser Zeit des Todes und Verlustes, die uns zielgerecht auf die Freude des Ostermorgens hinführt.  Aus dem Tod wird Leben.  Im Tod ist das Leben.

Die Wahrheit dieses Geheimnisses darf aber nicht heißen, dass wir die Wirklichkeit des Todes schönreden.  Tod ist Tod, bedeutet Abschied, bedeutet Trauer, Wut, Schmerz.  Wir wissen das.  Der englische Künstler Eric Gill schrieb über den Tod seiner Schwester Cicely:  „Sie hat in Christus gelebt, aber bei uns lebte sie nicht mehr.  Sie war nicht mehr da.  … Es blieb uns nichts übrig außer ein Grab und der kalte Trost eines Textes.  Talitha kumi.  Der schönste Text, aber was nutzt sogar der schönste Text?  Welche Poesie kann die Tote wieder zum Leben bringen?  Ich weinte, ich schrie fast vor Trauer.“[2]  Es geht bei dem Geheimnis des Glaubens nicht darum, zu tun als ob der Tod keine Wirklichkeit sei.  Der Tod ist oft schrecklich.  Auch Jesus betet nach Johannes an dieser Stelle: „Vater, rette mich aus dieser Stunde.“  Auch für ihn wird der Tod eine Qual, voll Schmerz und Angst, verlassen zu sein.  Jesus wird einen sehr menschlichen Tod sterben, um zu zeigen, was es heißt, dass im Tod Leben ist.

Das Geheimnis dieser Verkündigung bleibt Geheimnis.  Aber wir können vielleicht spüren, was sie bedeuten kann.  Eine gute Freundin von mir, deren Sohn mit 27 Jahren gestorben ist, sagte mir kurz nach seinem Tod: „Es ist furchtbar, unglaublich schmerzvoll.  Aber ich erlebe so viel Liebe, so viel Zuwendung.  Und ich wusste nicht, wie viele Menschen meinen Sohn so sehr geliebt haben.“ Aus seinem Tod wurde irgendwie Leben, nicht das Leben ihres Sohnes, nicht ihr altes Leben, das jetzt unabänderlich verändert ist, aber sie erlebte eine Welle der Liebe, der Zuwendung, des Gebets, was doch irgendwie Leben brachte.  Die englische Theologin Angela Ashwin schreibt „Ob wir es mögen oder nicht, Schmerz ist ein Teil unseres Lebens. … Wenn es keine Last, kein Leiden, keine Erschwernis im Leben gäbe, gäbe es auch keinen Mut, keine Geduld, keine Vergebung, kein Mitgefühl. … Erschwernis und Leiden gehören unvermeidlich zum Geheimnis des Lebens.“[3]  Sie gehören auch zum Glaubensweg, der gleich Lebensweg ist.  „Nachfolge Christi kann mehr Schmerz bedeuten, nicht weniger.“[4]

Das Geheimnis des Glaubens erinnert uns daran, dass Sterben zum Leben gehört, auch zu unserm Leben. Gestern Nachmittag habe ich im Garten gearbeitet.  Ich habe vieles zurückgeschnitten, ausgestorbenes Holz aber auch lebendige Äste.  Das gehört dazu, wenn der Garten im Sommer wieder schön blühen sollte. Daran wir erinnert in einem Meditationsimpuls zu Jeremia 17 (5-10), wo Jeremia einen blühenden und einen sterbenden Baum beschreibt:

„Der Baum ist Symbol sich wandelnden Lebens.  Jährlich erscheint das erste Grün, entwickeln sich Blüten, reifen Früchte, färben sich die Blätter, fallen ab und legen das filigrane Gerüst der Äste und Zweige frei.  Der Baum erinnert daran, in Wandlungen, Veränderungen, Reifungen, bis hin zum manchmal schmerzlichen Loslassen, einzuwilligen.  Er ist heilsames Bild für das, was in mir blühen und Frucht werden will und was mich in meinen Winterzeiten zum Innehalten und Loslassen auffordert.“[5]  Bei den laubabwerfenden Bäumen trägt das Verlieren der Blätter zur Gesundheit des Baumes bei.  Wenn ein solcher Baum sich dazu entscheiden könnte, die Blätter nicht abzuwerfen, würde er kaputtgehen und sterben.  Genau wie das Weizenkorn geknackt werden muss, wenn daraus neues Leben entstehen sollte. 

Das Geheimnis des Todes, aus dem Leben entspringt, bleibt aber weiterhin Geheimnis.  Es gibt immer wieder Zeiten, in denen noch nicht klar ist, wie aus einer furchtbaren Erfahrung – einer Trauer, eines Schmerzes, eines Verlustes – neues Leben entstehen kann.  Aber das gehört auch dazu, ist ein Teil des Geheimnisses. Der Abt Notker Wolf schreibt „Ich habe keinen Anspruch darauf, ständig die Nähe Gottes zu erleben. … Selbst Jesus kannte Augenblicke, in denen er seinen Vater nicht gespürt hat.  Seine erschütternden Worte Am Kreuz waren: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?’  Und Gott fing ihn auf. … Wenn wir in einer solchen ‚dunklen Nacht’ feststecken und die Finsternis vielleicht schon Wochen oder Monate dauert, dürfen wir trotzdem darauf vertrauen, dass einer da ist.  Auf diesem Vertrauen kann der schwache Glaube wieder wachsen, bis er sich im neuen Licht der Sonne weiterentwickelt.“[6] 

Auch wir müssen manchmal zunächst durch die Passionszeit, durch die Karwoche, durch die Tiefen, durch den Tod, bevor wir dort ankommen, wo wir das neue Leben sehen, erfahren und begreifen können.  Im Tod ist Leben – das ist das Geheimnis unseres Lebens, das Geheimnis der Passions- und Osterzeit, das Geheimnis unseres Glaubens.

Amen


[1]   Eingestimmt, #524.

[2]   Christian Meditation Collection, 403.

[3]   Christian Meditation Collection, 394.

[4]   Christian Meditation Collection, 395.

[5]   Te Deum, März 2012, S. 79.

[6]   Notker Wolf, Schmetterlinge im Bauch.  Warum der Glaube Flügel verleiht, 184.

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