4. Advent (B) – 18. Dezember 2021

Predigt in der Alt-Katholischen Gemeinde Bottrop

Micha 5, 1-4a
Hebräerbrief 10, 5-10
Lukas 1, 39-45

Der Engel ist zu Maria gekommen, und Maria hat ihr großes „Ja“ ausgesprochen.  Wolfgang Metz schreibt darüber:

          es könnte ein anfang sein
          wenn eine junge frau
          trotz aller ungewissheit
ja zu einem kind sagt.[1]

Es gibt eine Legende, dass Maria nicht die erste junge Frau war, zu der der Engel kam.  Sie war allerdings die erste, die Ja gesagt hat.  Das war ein großes Ja: Nach dem Engelsbesuch macht sich Maria auf den Weg zu ihrer Verwandten Elisabeth, die im hohen Alter ebenso unerwartet ein Kind bekommt.  Die Begegnung mit Elisabeth – diese Möglichkeit zum Austausch – gehört, meine ich, zum Ja dazu.  Durch diese Begegnung kann Maria begreifen, was mit ihr passiert, kann sie es annehmen – kann also das Ja bestätigen.

Es gibt eine Predigt aus dem späteren 16. Jahrhundert, in der diese Begegnung zwischen Maria und Elisabeth als erstes kirchliches Konzil verstanden wird, auf einer Ebene mit dem Konzil von Nizäa oder dem von Konstantinopel.  Das ist ein netter Gedanke: die schwangeren Maria und Elisabeth als Kirchenführend. Aber noch wichtiger ist für mich die Vorstellung, dass ihre Begegnung den zwei Frauen die Chance gab, sich über ihre Situation auszutauschen: ihre Freude, aber auch ihre Angst, ihre Hoffnung aber auch ihre Unsicherheit miteinander zu teilen. Stefan Schlager schreibt einen Wunsch für Advent:

          Zwischen den
Lichtern
Aufmerksamkeit
für das Dunkel

Zwischen den
Liedern
Raum
für Stille

Zwischen dem
Treibern
Ahnung
von Gelassenheit.

Zwischen dem
Glitzern
Wissen um
seine Tiefe

Und Sehnsucht
nach mehr[2]

Diese Begegnung zwischen Maria und Elisabeth hat etwas davon: sie bietet – oder so stelle ich sie mir zumindest vor –  Platz und Raum für Dunkel, Stille, Gelassenheit, Tiefe. Platz und Raum, um Unbehagen und Unsicherheit, Überraschung, vielleicht gar Verzweiflung, auszudrücken neben Vertrauen, Besonnenheit, Zuversicht.

Denn diese zwei werdenden Mütter wissen noch nicht richtig was mit ihnen geschieht.  Sie sind sicher zunächst nur erstaunt: Erstaunt über diese Schwangerschaften überhaupt.  Claudia Janssen schreibt, „Antikes gynäkologisches Wissen hält … die Schwanger­schaft einer unfruchtbaren alten Frau für ebenso ungewöhnlich wie die einer Jungfrau.“[3]   Durch die jeweilige Schwangerschaft erleben Maria und Elisabeth, dass für Gott nichts unmöglich ist.  Diese Erkenntnis „verbindet sie miteinander und beschreibt ihre jeweilige Erfahrung mit Gott, die sie veranlasst, zusammenzukommen. … Der Blick ist auf Gottes Handeln gerichtet, der Befreiung und Rettung bewirkt.“[4]  Die Antwort darauf ist das Magnificat, das Loblied der Befreiung. Claudia Janssen ist der Meinung, dass das Magnificat nicht nur von Maria, sondern auch von Elisabeth gesungen wurde. Sie meint, dass Elisabeth und Maria „die Erfahrung der Erniedrigung [teilen] mit vielen anderen jüdischen Frauen und dem ganzen Volk, das die Befreiung ersehnt. Hunger, Armut und politische Machtlosigkeit sind Realität der Menschen.“[5]  Im Magnificat wird „das Ende aller Unterdrückung verkündet.“[6]  Das Magnificat ist zwar ein „persönliches Danklied,“ ist aber kein Lied einer Einzelgängerin, sondern das Lied einer Gemeinschaft, die durch die Begegnung zwischen Elisabeth und Maria Gestalt nimmt und neue Hoffnung, Befreiung wahrnimmt.[7] 

Die Hoffnung kommt durch das ja zu Liebe. Antje Sabine Naegeli schreibt in ihrem Gedicht „Aber die Liebe“:

          Es ist unmöglich
          sagt die Angst.
          Es übersteigt meine Kraft.
          Es ist eine Zumutung.
          Ich bin auch nur
          ein Mensch.
          Das schaffe ich
          nie.
          Ich kann’s
          sagt die Liebe.[8]

Ich stelle mir es so vor, dass Maria gerade diese Unsicherheit gespürt hat, als sie zu Elisabeth gegangen ist. Vielleicht hatte Elisabeth sie auch gespürt. Zusammen konnten sie ihre Angst überwinden und die Liebe – die Liebe Gottes – vertrauen.

Was bedeutet das Ja der Maria?   Gott in sich wachsen zu lassen, damit sie Gott in die Welt bringen kann, damit die Welt Licht in der Dunkelheit erfährt. Schwangerschaft, halt, und eine Schwangerschaft brauch ihre Zeit. Pierre Stutz erinnert daran, dass „dieser innere Geburtsprozess einfach geschieht, wenn die Zeit reif ist. Meine Aufgabe ist, mich trotz Angst und Verunsicherung diesem Lebenslauf nicht entgegenzustellen.“[9]  Vielleicht geben Elizabeth und Maria einander Halt und Mut, um den Schwangerschafts- und Geburtsprozessen nicht entgegenzustellen.  Vielleicht können sie diese Begegnung gegenseitig in die Rolle der Hebamme treten. Einander begleiten, schließlich eine Art Geburtshilfe leisten.

Deshalb glaube ich, dass diese Geschichte eine Frage auch an uns stellt: Wo werden wir aufgefordert, ein Ja auszusprechen?  Welche Ängste und Unsicherheiten haben wir dabei?  Und wo finden wir den Raum, diese Ängste, diese Unsicherheiten mit anderen zu teilen, damit wir dem Weg zum Ja finden?  Wo finden wir die gegenseitige Unterstützung?  Die Geburtshilfe bei unserer eigenen Schwangerschaften mit dem Wort Gottes?  Ich wünsche uns alle, dass wir solche Begegnungen, solche Austauschmöglichkeiten, solche Begleitungen haben, damit auch wir unser Ja zu Gott aussprechen – und tragen und ausleben – können.

Amen


[1]   Te Deum, Dezember 2021, S. 196.

[2]   Te Deum, Dezember 2021, S. 124.

[3]  „Über mich hinaus! Begegnen – Begeistern – Bewegen mit Maria und Elisabeth,“ Arbeitshilfe Frauensonntag 18. September 2016, S. 10 (https://www.ekiba.de/media/download/integration/314786/2016__ueber_mich_hinaus._arbeitshilfe_frauensonntag.pdf).

[4]   Ebd., S. 11.

[5]   Ebd.

[6]   Ebd., S. 12.

[7]   Ebd., S. 11.

[8]  Lebensfreude. Wörter, die Stark machen, S. 112.

[9]  Ebd., S. 63.

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