Predigt in der alt-katholischen Gemeinde Münster
Offb 7, 2-4. 9-14
1 Joh. 3, 1-3
Mt 5.1-12a
Seid ihr schon mal einem Heiligen — oder einer Heiligen — begegnet? Würdet ihr es wissen, wenn ihr einem Heiligen begegnet wäret? Wisst ihr überhaupt, wie ein Heiliger, eine Heilige aussieht?
Allerheiligen – das Fest der Heiligen. Aber wer sind überhaupt die Heiligen? Und was heißt es überhaupt, heilig zu sein?
„Ein Heiliger ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint“, hat einmal ein Kind gesagt. Es hatte nämlich vorher ein Kirchenfenster mit Heiligenfiguren gesehen und war erstaunt vom hellen Leuchten des Bildes, weil die Sonne es von außen bestrahlte und hindurch schien. Gott ist die Sonne unseres Lebens und will uns zum Leuchten bringen; und ein Heiliger ist, wer sich von dieser Sonne zum Leuchten bringen lässt, so dass andere es wahrnehmen können.[1] Heilig: das sind Menschen, Orte und Handlungen, die eng mit dem göttlichen Bereich in Berührung stehen.
Sanctus, heißt das im Lateinischen. Es kommt wohl von einem Verbum „sancire“, was „begrenzen“ „umschließen“ bedeutet. Als heilig wurde ursprünglich ein abgegrenzter Bezirk (lateinisch „fanum“) gekennzeichnet, so dass alles, was sich vor diesem Bezirk befindet, als pro fano, also vor dem heiligen Bezirk liegend, galt.[2] Heilig war, wer und was zu diesem Bezirk gehörte. Die römisch-katholische Kirche macht hier weiter, in der sie bestimmte Menschen „heiligspricht“: „setzt einzelne ihrer Glieder unter die heiligen“. Nach dieser Definition sind Heilige gesonderte Menschen – andere Menschen. Sie sind näher an Gott, hieß es in der mittelalterlichen Theologie, haben sich mehr Gnade angesammelt, als normale Menschen, und ihre Gebete funktionieren besser als die Gebete aller anderen. Dies ist der Grund, warum die Heiligenverehrung so wichtig war, warum Heilige eine fürbittende Funktion hatten (oder auch noch haben). Und da ist sicher etwas daran: Heilige sind unsere spirituelle Vorbilder, und das ist gut und richtig so.
Das Neue Testament sieht die Sache aber anders. Denn im Neuen Testament gehören alle dazu. Die werden die Gläubigen – alle Christen und Christinnen – „die Heiligen“, tous hagios genannt. Die Heiligen sind diejenigen Menschen, die Christus nachfolgen wollen, die über Christus auf der Suche nach Gott sind. Freilich auch in dieser Zeit eine begrenzte, ein abgegrenzte Gruppe. Aber wichtig ist, dass alle Christen dazu gehören. So gesehen sind die Heiligen Menschen wie wir – Menschen, die auf der Suche nach Gott in dieser Welt sind; Menschen, die auf dem Wege sind, Gott näher kennenzulernen. Menschen, die es versuchen und manchmal auch schaffen, Raum und Platz für Gott in Ihrem Leben zu finden, Menschen, die bewusst Christus, Gott nachzufolgen. Vorbilde halt, aber nicht von uns abgesondert, sondern uns ganz nahe.
Aus dem Matthäusevangelium lesen wir heute de Seligpreisungen, die uns etwas über dieser Art von Heiligen aussagen. Selig sind, die arm sind vor Gott, die trauern, die keine Gewalt anwenden, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die barmherzig sind, die ein reines Herz haben, die Frieden stiften, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Das griechische Wort lautet makarioi, auf Lateinisch beati. Ich denke, es geht hier nicht darum Seligkeit mit Heiligkeit zu vergleichen. Ganz im Gegenteil, es geht darum anzuerkennen, dass diese Menschen in Situationen sind, bei denen sie merken, dass und wie sehr sie Gott brauchen. Selig sind, die erkennen, dass sie Gott brauchen, die erkennen, dass die Welt Gott braucht, die erkennen, das auch unsere Nächsten Gott brauchen. Selig bedeutet hier nicht fröhlich sein, nicht beneidenswert sein, sondern in Gottes Nähe zu sein. „Seligkeit wäre demnach der besondere Gad der Gottesverbundenheit.“[3] Gott besonders zu spüren – vielleicht auch in seiner Abwesenheit durch ein Sehen nach seine Präsenz. Diese Art Seligkeit ist (davon bin ich überzeugt) auch Heiligkeit.
Hier liegt für mich auch die Verknüpfung zwischen Allerheiligen am 1. November und Allerseelen am 2. November, die Verknüpfung auch zwischen den Heiligen und den Menschen, von denen wir uns haben verabschieden müssen, um denen wir trauern, die uns in diesem Leben nun fehlen. Denn sie zeigen uns doch ein Weg. In der Trauer spüren wir auch unser eigenes Bedürfnis nach Gott. Somit sind auch unsere Verstorbenen Heiligen, denn sie sind für uns eine Brücke zu Gott, mehr – sie sind Brücke zum Leben danach, zum ewigen Leben. Mit ihnen sind auch unsere Seelen vielleicht ein Stück ins Danach gerückt, ein Schritt näher an Gott angelangt.
Alle Menschen können Heilige sein, denn jeder Mensch kann uns näher an Gott bringen. So gesehen sind die Heiligen doch nicht ganz anders als wir. Sie blieben nicht verschont von den Auseinandersetzungen des Alltage, waren nicht völlig gelöst vom Hin-und-Her-gerissen-sein zwischen Hoffnung und Trauer, Wünschen und Wirklichkeit. Nein: sie habe genau wie wir ihr Leben leben müssen – aber sie haben dabei auf ganz besonderer Weise Gott bezeugen. Sie sind Vorbilder für uns, nicht weil sie unendlich viel besser sind, sondern weil sie das getan haben, was wir auch – zumindest manchmal – versuchen zu tun, zu leben, zu glauben.
Auch wir gehören dazu. Wie es im Tagesgebet steht: „Du hast uns aufgenommen in die Gemeinschaft deiner Heiligen, die zu allen Zeiten und an allen Orten deinen Namen verherrlichen.“ Und nicht nur wir, sondern auch die Menschen, die uns den Weg Gottes gezeigt haben. Es ist eine große Schar, die sich um den Thron Gottes sammelt: die Gemeinschaft der Heiligen, die Chöre der Engel. Auch wir, auch unser lieben Verstorbenen, gehören dazu.
[1] http://www.k-l-j.de/predigt_allerheiligen.htm
[2] http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761596982/Heilig.html
[3] Te Deum, November 2015, S. 13.